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Ermittlung der Lesegeschwindigkeit

Leseflüssigkeit ab der 2. Klasse

Idee: Cornelia Rosebrock und Daniel Nix

Mit Hilfe von Lesetests kann die Lesegeschwindigkeit von Schüler:innen ermittelt werden, um Defizite aufzudecken und die Einteilung in Lautlesetandems vorzubereiten.

1. Schnelllesetest (Gruppendiagnostik)

Vorbereitung

Der Schnelllesetest wird im Klassenverband durchgeführt. Verwendet werden sollte ein der Klassenstufe angemessener Lesetext, der als Lückentext konzipiert ist und je nach Schulstufe unterschiedlich lang sein kann. Für jede Lücke wählen die Schüler:innen aus mehreren Antwortmöglichkeiten das richtige Wort aus und kreuzen es an. Geeignete Lückentests finden sich bei Rosebrock und Nix (Literaturangabe s.u.) Gemessen wird beim Schnelllesetest die Geschwindigkeit des verstehenden Lesens.  

Material

Für den Test wird neben dem Lückentext außerdem eine Klassenliste und eine Stoppuhr benötigt.

Durchführung

  • An jedes Kind wird eine Kopie des Textes mit der Rückseite nach oben ausgeteilt.
  • Auf ein Zeichen drehen die Schüler:innen das Blatt um und beginnen, den Text still zu lesen. Die Lehrkraft stoppt währenddessen die Zeit.
  • Ist ein Kind fertig mit Lesen, hebt es die Hand.
  • Die Lehrkraft notiert die benötigte Zeit in der Klassenliste. Alternativ kann auch ein Zeitstrahl an die Tafel gezeichnet werden, der von einem Sekundenwert, den gute Leser:innen gerade so schaffen können, bis zu einem Sekundenwert, den auch sehr schwache Leser:innen erreichen können, reicht. Während der Lesezeit fährt die Lehrkraft mit dem Finger oder einem Zeigestock am Zeitstrahl entlang. Bei Klassen, die mit einem Smartboard oder einer Dokumentenkamera ausgestattet sind, kann eine digitale Stoppuhr mit Sekundenangabe an die Wand projiziert werden. Sind die Schüler:innen fertig, notieren sie die eigene die Zeit auf ihrem Arbeitsblatt.
  • Im Anschluss an den Test werden die Ergebnisse besprochen, die falsch angekreuzten Sätze durch die Schüler:innen gezählt und notiert. Alternativ kann die Lehrkraft die Auswertung selbst vornehmen.

Auswertung

Zur Auswertung der individuellen Lesegeschwindigkeit wird die Anzahl der gelesenen Wörter durch die Lesezeit in Sekunden geteilt und mit 60 multipliziert. Für jedes falsch angekreuzte Wort werden 30 Sekunden auf die Lesezeit aufgeschlagen. Zusammenfassen lässt sich dies in folgender Formel für Wörter pro Minute (WpM):

Bei einem Text von 500 Wörtern, der in 4 Minuten gelesen und bei dem 3 Begriffe falsch angekreuzt wurden, ergibt sich folgende Rechnung:

Als Richtwert gilt, dass ein narrativer Text erst ab einer Geschwindigkeit von 100 Wörtern pro Minute verstehend gelesen werden kann.

Variante

Anstelle von Lückentexten ist es auch möglich normale Lesetexte durch Fragen zum Text im Multiple-Choice-Format zu ergänzen. Diese sollten beantwortet werden, ohne dass dabei noch einmal im Text nachgelesen werden darf. Bei der Auswertung sind falsche Antworten auch hier mit einem Aufschlag in der Zeit zu berücksichtigen.
 

2. Lautleseprotokolle anfertigen (1:1-Situation)

Vorbereitung

Ein altersangemessener Text im Umfang von 200 bis 300 Wörtern wird ausgewählt. Für diesen Test braucht man außerdem eine Stoppuhr.

Durchführung

Das Kind liest der Lehrkraft den Text genau eine Minute lang vor. Die Lehrkraft stoppt die Zeit und fertigt während des Lesens in einer eigenen Textkopie ein Lautleseprotokoll an, indem sie Lesefehler wie falsche Aussprache, Ersetzungen, Wortumstellungen und Auslassungen markiert. Diese Markierungen können wie folgt gesetzt werden:

  • Ein Häkchen für jedes richtig gelesene Wort
  • Ein Minus für ein falsch gelesenes Wort
  • Eine Null für ein ausgelassenes Wort
  • Die Stelle, die das Kind nach einer Minute erreicht, wird mit einem Strich markiert

Auswertung

Lesegeschwindigkeit

Bei der Auswertung wird die Anzahl der innerhalb einer Minute gelesenen Wörter ermittelt. Ganz wichtig ist es, dass hier nur die richtig gelesenen Wörter gezählt werden. Sowohl Auslassungen als auch falsch gelesene Wörter werden nicht mitgezählt!

Als Richtwert gilt, dass ein narrativer Text erst ab einer Geschwindigkeit von 100 Wörtern pro Minute (=WpM) verstehend gelesen werden kann.

Dekodiergenauigkeit

Anhand des Lautleseprotokolls lässt sich zusätzlich die Dekodiergenauigkeit berechnen. Hierzu wird die Anzahl der fehlerfrei gelesenen Worte durch die Anzahl aller Worte des in einer Minute bewältigten Textabschnitts geteilt. Das Ergebnis wird mit 100 multipliziert. Verstehendes Lesen ist ab einer Dekodiergenauigkeit von 95% möglich.

Als Faustregel gilt hier: ab 100 WpM und bei nicht mehr als 5 Lesefehlern kann ein narrativer Text verstehend gelesen werden.

Automatisierungsleistung

Wörter, die nicht spontan erkannt wurden, werden genauer untersucht. Je höher die Jahrgangsstufe, desto geringer sollte die Anzahl der nicht auf Anhieb erkannten Wörter sein. Abgesehen von Fremdwörtern und ungeläufigen Wörtern sollten in der 4. Klasse keine Worte mehr mühsam erlesen werden müssen.

Dekodiergenauigkeit und Automatisierungsleistung geben Aufschluss darüber, wie eine passgenaue Förderung z.B. durch Übungen zum Sichtwortschatztraining und zum genauen Lesen erfolgen kann.

Es wird empfohlen, die Leseleistung in regelmäßigen Abständen mittels Lautleseprotokollen zu überprüfen und die Ergebnisse in ein Raster einzutragen. Der Entwicklungsverlauf der Schüler:innen dient nicht nur als Grundlage für Beratungsgespräche, sondern kann durch seine Anschaulichkeit auch positive Auswirkungen auf das Selbstkonzept haben.

Mit einem Aufnahmegerät kann das Gelesene aufgenommen werden. Ein gemeinsames Anhören und ein daraus entstehendes Gespräch fördern das Einbeziehen des Kindes in den eigenen Leseprozess.

Anregungen zum Umgang mit den Ergebnissen

Liest ein Kind langsam, beantwortet aber alle Fragen zum Text richtig:

  • Lesegeschwindigkeit trainieren mit Lautleseverfahren
  • mehr Zeit für Leseaufgaben einplanen
  • Texte stärker strukturieren bzw. an das Kind anpassen
    (z. B. Schriftgröße, -art, Zeilen- und Zeichenabstand, Zwischenüberschriften)
  • ggf. Arbeitsorganisation verbessern
  • ggf. gezielte Konzentrationsübungen
     

Liest ein Kind zügig, kreuzt aber viele Antworten falsch an:

  • Übungen zum genauen Lesen (z. B. Lesen im Team, reziprokes Lesen,
    Hypothesenbildung und -überprüfung trainieren)
  • Wortschatztraining (Wörter erklären und in Bedeutungszusammenhänge bringen)

Lernverlaufsdiagnostik

Lautleseprotokolle sollten mehrmals im Schuljahr durchgeführt werden. Zur Veranschaulichung des Lernfortschritts kann die Exceltabelle von BiSS-Transfer genutzt werden. Nach Eintrag der richtig gelesenen Wörter pro Minute nach jeder Testung generiert diese Tabelle automatisch eine Lernkurve, an der der Lernfortschritt des jeweiligen Kindes im Hinblick auf die Leseflüssigkeit deutlich wird.
Einen Überblick über die durchschnittliche Lesegeschwindigkeit in WpM von Schüler:innen der Klassen 1-8 gibt die Übersichtstabelle von BiSS-Transfer.

Literatur

Rosebrock et al. (2011): Leseflüssigkeit fördern. Lautleseverfahren für die Primar- und Sekundarstufe. Hannover: Klett Kallmeyer.

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