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Von der Unerträglichkeit des Seins: Die ungeduldigen Frauen

© Orlanda Verlag

Verliefe das Leben nach eigenen Vorstellungen, wäre Ramla mit Aminou verheiratet und arbeitete als Apothekerin, könnte Hindou ihren zukünftigen Mann ablehnen und Safiras Mann nähme sich keine zweite Ehefrau. Aber bei den Fulben, einem sesshaft gewordenem Hirtenvolk Westafrikas, haben die Männer das Sagen. Und so wird Ramla dem reichen Politiker Alhadji Issa als Mitfrau nach Safira versprochen und Hindou wird mit ihrem Cousin Moubarak verheiratet. Weder Flehen noch Protest richten etwas aus. Die Männer verfolgen ihre eigenen Interessen. Nicht Liebe und Respekt prägen das Zusammenleben von Eheleuten, sondern Gewalt, Vergewaltigungen, Unterdrückung und Demütigungen. Hinzu kommen Intrigen unter den Ehefrauen. Statt einander zu schützen und zu unterstützen, sind die meisten Frauen bestrebt, ihren Status quo nicht zu verlieren, denn er ist in einer Welt, in der die Ehre des Mannes alles ist, vor allem eine Lebensversicherung.

Djaїli Amadou Amals Roman „Die ungeduldigen Frauen“ erzählt eindrücklich und schonungslos die verstörende Geschichte der beiden Halbschwestern Ramla und Hindou und von Safira, der ersten Frau von Ramlas Mann. Dabei sind insbesondere die Gewalterfahrungen, Vergewaltigungen und die Hilflosigkeit der beiden Halbschwestern kaum auszuhalten. Immer wenn die beiden um Hilfe flehen, werden sie ermahnt und an munyal erinnert. Im übertragenen Sinn bedeutet der Begriff „Geduld“ und auch „Selbstbeherrschung“ und ist ein tragendes Prinzip, das verlangt, sich nicht seinen Emotionen hinzugeben. Der Roman zeigt nicht nur auf, was Gewalterfahrung mit Frauen macht, sondern auch, dass das System von Frauen mitgetragen und unterstützt wird. Deutlich wird das u.a. anhand von Safira, die Ramla als Mitfrau nicht erträgt. Sie und ihre Verbündeten tun alles, damit die junge Frau in Ungnade fällt. Erst als Ramla fast getötet wird, erkennt Safira, dass sie zu weit gegangen ist. Aber ihr Einschreiten ist nicht selbstlos: „Wenn er sie umbringt, überlebe auch ich das nicht.“

Dieser Roman ist keine leichte Kost. Wer ein Happyend erwartet, wird bitter enttäuscht werden. „Diese Geschichte ist eine Fiktion nach wahren Begebenheiten“ stellt Amadou Amal der Geschichte voran. Und im wirklichen Leben verläuft eben nicht alles nach unseren Vorstellungen, wird der Wunsch nach einem guten Ende oft nicht erfüllt. Es spricht für die Jugendjury des Deutschen Jugendliteraturpreises, dass sie diesen Roman nominiert hat. Er gibt den unterdrückten und missbrauchten Frauen der Sahelzone eine Stimme und trägt ihr Leid in die Welt. Lesebefehl!

Djaїli Amadou Amal: „Die ungeduldigen Frauen“. Berlin: Orlanda Verlag, 2022. Ab 14 Jahren.

Der Verlag hat eine Handreichung für Lehrkräfte erarbeitet, die zum kostenlosen Download auf der Verlagsseite zur Verfügung steht.