Was macht man als junger, schwuler Heranwachsender, der musikalisch begabt ist und sich somit von der restlichen männlichen Bevölkerung seines kleinen Dorfes abhebt, in dem Frauen grundsätzlich als Weibchen bezeichnet werden? Man verlässt diesen Ort so schnell wie möglich. Nach dem Tod seiner Mutter fällt Torleif in ein tiefes Loch, aus dem ihn nur der Besuch einer musischen Schule in der Großstadt herausholen kann, der mit einem Umzug verbunden ist. Hier kann er inmitten seiner neuen Freund:innen er selbst sein und muss sich nicht mehr verstellen. Nie wieder will er in sein Heimatdorf zurückkehren. Aber dann erkrankt sein Großvater schwer und braucht Torleifs Unterstützung, da sein Vater und Bruder die Elchjagd nicht verschieben wollen. Und so kommt Torleif widerwillig für einige Zeit zurück und hilft seinem „Goffa“ in dessen Werkstatt. Der Großvater baut Hardangerfideln, und er und Torleif teilen die Liebe zur Musik. Als sich dann die Leiterin der Musikschule die Hand bricht, springt Torleif ein, um mit ihrer Klasse für das Hardangerfidel-Konzert zu üben. Dabei begegnet er Horimyo, dem Austauschstudenten aus Japan, und fühlt sich schnell zu ihm hingezogen. Ihre Liebe wird jedoch beobachtet und führt zu einer öffentlichen Bloßstellung Torleifs, wobei auch das Familienerbstück, die Meisterfidel des Ururgroßvaters, zertrümmert wird. Horimyo praktiziert die japanische Kunst des Kintsugi, der Reparatur von zerbrochenen Gegenständen mit Kleber und Goldfarbe. Er ist es, der Torleif tröstet: „Reparieren bedeutet Heilung.“ Dieser Satz löst eine innere Wende in Torleif aus. Als sein Goffa ihn schließlich in seinem Coming-Out unterstützt, findet Torleif endlich genug Stärke, um auch vor dem Dorf zu sich zu stehen.
Das Setting, das Elin Hansson in ihrem Roman zeichnet, ist altbekannt und so möchte man dem Protagonisten direkt entgegenrufen: „Geh nicht mit den Jungs von früher auf eine Sauftour, bleib einfach bei deinem Goffa!“ Aber es kommt wie es kommt, und die Leser:innen warten gespannt auf das erzwungene öffentliche Outing, in dem die Geschichte enden muss. Was diese Geschichte so besonders macht, sind die Zwischentöne, die nicht nur von der Musik, sondern von den Personen kommen: Torleifs Großvater, der sensibler für seinen Enkel ist, als man zuerst glaubt, und der ahnt, dass der Junge wohl eher nach dem Onkel kommt, der auch „anders“ war. Der Vater, der wortkarg und fast schon bedrohlich wirkt, dann aber seinem Sohn überraschend zugeneigt ist. Der Bruder, dem es egal ist, dass Torleif schwul ist, solange er es nicht öffentlich zur Schau stellt. Die Musikklasse und die Lehrkräfte, die viel offener sind, als Torleif es sich ausgemalt hat, und ihn unterstützen. So kann dieser Roman Mut machen: sich auf den Weg zu machen, zu sich zu stehen und sich Unterstützung zu holen. Vielleicht sind die Ängste größer als die Wirklichkeit.
Elin Hansson: Zweiklang. Hamburg: Arctis, 2025. Ab 14 Jahren